Balkendiagramm: Änderung der gesamt auf die Partei abgegebenen Stimmen und der Vorzugsstimmen für Kandidat:innen, die bei der Plattform Christdemokratie gelistet waren

Religiöse Vorzugsstimmenkampagne ohne Erfolg

Veröffentlicht: 04. May 2025

In der Berichterstattung über den Wahlkampf für die Gemeinderatswahl in Wien wurde das Umwerben von migrantischen und muslimischen Wähler:innen stark thematisiert. Weniger Aufmerksamkeit bekam das Buhlen um christliche Wähler:innen – wir haben berichtet.

Eine Zusammenarbeit der “Plattform Christdemokratie” und der “Evangelischen Allianz” hat für die Wiener Gemeinderatswahl 2025 eine Liste von “christlichen Wahlprüfsteinen” an die Kandidat:innen der im Gemeinderat vertretenen Parteien ausgeschickt. Solche Umfragen werden normalerweise von parteiunabhängigen Organisationen gemacht und stellen inhaltliche Fragen zu politischen und gesetzgeberischen Vorhaben. Hier ist es komplett anders. Die Initiator:innen sind aktiv für die ÖVP kandidierende Personen, die in erster Linie darauf neugierig waren, wie gläubig die anderen Kandidat:innen sind und was ihnen zu christlich-fundamentalistischen Kulturkampf-Themen einfällt.

Natürlich haben Kandidat:innen innerhalb der eigenen Partei deutlich mehr Kontaktmöglichkeiten als zu anderen Parteien, gerade im Wahlkampf. So überrascht es auch nicht, dass die ÖVP, jene Partei, die mit den wenigsten Stimmen in den neu gewählten Gemeinderat einzieht, in den “Wahlprüfsteinen” fast zwei Drittel (65 %) der Antwortenden stellt. Eher mehr überrascht es, dass Kandidat:innen anderer Parteien das nicht verstehen und beim Projekt von zwei Möchtegern-Abgeordneten der politischen Konkurrenz mitmachen und dieses damit legitimieren – während sie sich selbst in ein Umfeld, das die relative Stärke der Parteien verzerrt, begeben.

Das Endergebnis der Wahl ist nun da. Die SPÖ hat leicht, die ÖVP massiv verloren. Karl Mahrer, der Spitzenkandidat der ÖVP musste bereits abtreten, und ein zweiter Name auf der Liste, Laura Sachslehner zieht sich ganz aus der Politik zurück. (Sie war diejenige, die ihr Glaubensbekenntnis ursprünglich wortident mit Initiator Jan Ledóchowski “formuliert” hat – dies wurde später ohne Hinweis korrigiert.) Die FPÖ, beim letzten Wahltermin 2020 durch die Ibiza-Affäre und weitere Skandale massiv geschwächt, hat sich seither erholt und fast verdreifacht, ist aber weit hinter ihrem letzten Bundesergebnis gelandet. Die Neos finden sich nicht in der Liste, da niemand von ihnen bei der Aktion der “Plattform Christdemokratie” mitgemacht hat.

Kandidat:in20202025DifferenzÄnderung %Summe ParteiÄnderung %
SPÖLudwig, Michael15.04910.326-4.723-31,4 %
Baxant, Petr201147-54-26,9 %-4.777-31,3 %
ÖVPMahrer, Karl1.4241.74432022,5 %
Zierfuss, Harald1.4011.434332,4 %
Taborsky, Hannes124324200161,3 %
Juraczka, Manfred362182-180-49,7 %
Hungerländer, Caroline116578462398,3 %
Gorlitzer, Michael1272219474,0 %
Ofner, Felix126856466,7 %
Ledóchowski, Jan1.758627-1.131-64,3 %
Tauschmann, Ernst50
Dejmek, Suha1.168123-1.045-89,5 %
Sachslehner, Laura340(190, nur auf Bezirksebene kandidiert)-1.191-18,3 %
GRÜNEHetfleisch, Christopher601115185,0 %5185,0 %
FPÖKrauss, Maximilian7681.564796103,6 %
Stumpf, Michael1091554642,2 %
Preyer, Rudolf884296,0 %
22.67917.604-5.075-22,4 %

Ernüchternde Ergebnisse

Wir haben die Vorzugsstimmen aus den Endergebnissen für 2020 und 2025 ausgesucht und für jene Kandidat:innen, die in beiden Wahlgängen auf dem “Stadtwahlvorschlag” gelistet sind, verglichen. Laura Sachslehner hat 2025 nur mehr auf Bezirksebene kandidiert und dort 190 Vorzugsstimmen bekommen, nach 340 im Jahr 2020 für die Wien-Wahl. Sie wurde also nicht gezählt. Ernst Tauschmann (ÖVP) und Rudolf Preyer (FPÖ) kandidierten 2025 zum ersten Mal. Die Exklusion dieser drei nicht vergleichbaren Datensätze ändert das Ergebnis nicht wesentlich. 

Für die anderen vierzehn Kandidat:innen stehen Vergleichswerte zur Verfügung. Insgesamt bekamen diese Personen bei der Wahl 2020 22.679 Vorzugsstimmen, 2025 nur mehr 17.604. Das ist ein Rückgang um 5.075 Stimmen, 22,4 %. Der größte Teil des Rückgangs entfällt auf Bürgermeister Michael Ludwig, der 31,4 % seiner Vorzugsstimmen aus 2020 einbüßte. Aber auch der andere SPÖ-Kandidat auf der Liste der “Plattform Christdemokratie” verlor mehr als ein Viertel seiner früheren Vorzugsstimmen.

Bei der ÖVP war mit der riesigen Wahlniederlage auch ein starker Rückgang der Vorzugsstimmen zu erwarten. Spitzenkandidat Karl Mahrer konnte zwar gegenüber 2020 (als er nicht Spitzenkandidat war) zulegen, und Kandidat:innen mit unter 150 Vorzugsstimmen bei der letzten Wahl sich teilweise stark verbessern. Die Initiator:innen der Aktion, Jan Ledóchowski (Präsident “Plattform Christdemokratie”) und Suha Dejmek (Vizepräsidentin der “Plattform”, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Politik der Evangelischen Allianz Wien) verloren jedoch massiv: Beide über tausend Vorzugsstimmen, Ledóchowski 64,3 %, Dejmek gleich 89,5 %. Bei beiden ist der Rückgang stärker als der anteilige Stimmenverlust der ÖVP. Mit Vorzugsstimmenkampagnen innerhalb der ÖVP vorgereiht zu werden war seit Jahren ihre Strategie, wie im Rechtsextremismusbericht des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes beschrieben (Seite 117). Dies ist heuer ordentlich misslungen. 

Der einzige grüne Kandidat, der bereit war, sich bei der “Plattform Christdemokratie” zu präsentieren, gewann auf niedrigem Niveau Vorzugsstimmen dazu. Ob er damit einen der 15 Sitze der Grünen im Gemeinderat besetzen kann, ist mehr als fraglich. Die beiden FPÖ-Kandidaten konnten sich stark verbessern, aber auch nicht so stark, wie die FPÖ insgesamt Stimmen dazugewann. Die Neos, die KPÖ und andere Kleinparteien haben nicht an der Aktion teilgenommen.

Ziele nicht erreicht

Wir können aus dem starken Rückgang der Vorzugsstimmen für Kandidat:innen, die bei beiden Wahlen antraten und auf dieser unbedeutenden Webseite der christlich-fundamentalistischen Blase gelistet waren, nicht direkt ableiten, dass die Teilnahme an der Aktion ihnen geschadet hätte. Aber wir können die Erreichung der Ziele der Initiator:innen mit dem Ergebnis vergleichen.

Die “Plattform Christdemokratie” wollte laut Webseite der Wahlprüfsteine “den christlichen Wählern aller Parteien ein Angebot machen und somit auch die christlichen Kandidaten anderer Parteien bewerben“. Die Wähler:innen könnten so “christliche Kandidaten innerhalb ihrer Parteien stärken”.

Wenn die “Bewerbung” und “Stärkung” der genannten Kandidat:innen im direkten Vergleich mit einem Rückgang von mehr als einem Fünftel der Vorzugsstimmen endet, die Veränderungen großteils schlechter als die Gesamtergebnisse der Parteien ausfallen und die Initiator:innen der Aktion selbst massiv verlieren, dann lässt sich schwer behaupten, dass die Initative ihr Ziel erreicht hätte. Sie konnte einmal alle Parteien mobilisieren. Dem fehlenden Erfolg stand wohl ein gewisser Aufwand entgegen.

Wie es andere Parteien bewerten, dass ihre Kandidat:innen bei der politischen Konkurrenz Wahlkampf machen, während eine ÖVP-nahe Gruppe christliche Menschen auf Alternativen in anderen Parteien hinweist, wird sich noch zeigen – wahrscheinlich werden wir die Ergebnisse der parteiinternen Untersuchungen nicht erfahren. Aber es wäre nicht überraschend, wenn diese letztlich wirkungslose Art, mit dem Bekenntnis zum Christentum wählbarer oder attraktiver zu erscheinen, jetzt zum letzten Mal probiert wurde.

Religion in der Politik

Es ist das gute Recht religiöser und nicht religiöser Menschen, politisch aktiv zu sein. Etwas problematischer wird es, wenn das Bekenntnis als primäres Wahlargument und Auswahlkriterium präsentiert wird. Dies lässt nämlich darauf schließen, dass die eventuell Gewählten dann weniger offen für die Aushandlungen und Kompromisse, die in einer Demokratie nun einmal notwendig sind, sein werden. Das ist Identitätspolitik, nicht evidenzbasiert und nicht diskursfähig.

Es hat sich gezeigt, dass in der Bundeshauptstadt Wien, die etwa zur Hälfte konfessionsfrei ist, diese Art der christlichen Identitätspolitik nicht (mehr) funktioniert. Es gibt sehr wenige Wähler:innen, die ihre Religion als gewichtigen Grund bei der Entscheidung für einzelne Kandidat:innen sehen. Parteipräferenzen und Sachthemen sind wichtiger, und das ist gut so.

Die sich religiös deklarierenden Politiker:innen wollen hier wie immer nur die Vorteile für sich: Sie glauben, dass die Signalisierung, einer Religion anzugehören, ausschließlich positive Effekte haben kann. Dass sie sich damit für einen größeren Teil der Wähler:innen als wenig oder gar nicht wählbar markieren, hat in ihrer Glaubenswelt keinen Platz.

Wien ist der Prototyp für die künftige Zusammensetzung der österreichischen Gesellschaft: Eine konfessionsfreie, nicht religiöse Mehrheit und über zwanzig Minderheiten-Religionen, deren Ansichten von vier-fünf Parteien mehr oder weniger geteilt werden. Jene Parteien, die konfessionsfreie Anliegen ernst nehmen, finden ein großes Potenzial bei Wähler:innen. Sie müssen dabei keine religionsfeindlichen Positionen vertreten – Verfassung und Demokratie ernst nehmen reicht.

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