In den letzten Monaten sind von der Politik viele widersprüchliche Signale gesendet worden, die die Konfessionsfreien und die Säkularität der Republik betreffen.
Aus Niederösterreich kommen Forderungen an den Bund, Verfassungsgesetze (!) zu beschließen: Kopftuchverbot für Mädchen in der Schule (wurde 2020 schon als verfassungswidrig erkannt, deswegen der Wunsch nach der Unangreifbarkeit), Kampf gegen den politischen Islam (während der politische Katholizismus am besten unbehelligt bleiben soll), und Kreuze in allen Klassenzimmern. Dies könnte man ja noch als lauten Wettstreit zwischen zwei rechtspopulistischen Parteien im Permanent-Wahlkampf abtun.
Bedeutender ist aber der Vorstoß der FPÖ in den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP, die Steuerabsetzbarkeit der Kirchenbeiträge abzuschaffen. Dies ist auch insofern bemerkenswert, weil unter der Kurz-Regierung ähnliche Massnahmen bereits in der ÖVP angedacht wurden (“Vollgas geben“).
Es ist im Moment noch unklar, wie ernst gemeint die Vorschläge sind, und ob sie nicht nur als extreme “Streichresultate” in die Diskussion eingebracht werden – im FPÖ-Wahlprogramm kamen sie ja nicht vor. Es könnte auch sein, dass das tatsächliche Ziel die ebenfalls von der Steuer absetzbaren Spenden an gemeinnützige Vereine sind. Viele von diesen sind ja der FPÖ zu kritisch und sollen ihre Unterstützung möglichst verlieren.
Die Konfessionsfreien in Österreich sprechen sich natürlich schon immer gegen die selektive Steuerabsetzbarkeit der Beiträge an einzelne Religionsgesellschaften aus, weil sie eine unfaire Subventionierung der Mitgliedschaft in einzelnen (aber nicht allen) Religionsgesellschaften darstellt. Nicht einmal alle Kirchen sind mit dem Status quo zufrieden. Dass nach Jahrzehnten einzelne Parteien dieses Thema für sich entdecken, bestätigt diese Position.
Steuerabsetzbarkeit, was ist das?
In Österreich sind Pflichtbeiträge an Religionsgesellschaften, die solche vorschreiben (also keine Spenden), bis 600 € im Jahr von der Einkommensteuer-Basis absetzbar. Wie jede Steuerabsetzung wirkt diese Möglichkeit bei höheren Einkommensteuer-Stufen stärker. Wer wenig verdient und keine Steuern zu zahlen hat, hat nichts davon – muss aber den Kirchenbeitrag zahlen. Etwas darüber, wenn der durchschnittliche Steuersatz z. B. 15 % beträgt, wird nur dieser Teil des gezahlten Kirchenbeitrags eingespart. In den Spitzensteuerklassen beträgt die Ersparnis aber schon 50 % und mehr. Und um die Obergrenze von 600 € voll ausnutzen zu können, muss man schon ein Jahreseinkommen über 56.000 € haben (bei 1,1 % Kirchenbeitragshöhe). Die Republik subventioniert also – neben direkten Zahlungen an Religionsgesellschaften – die Mitgliedschaft bei eben diesen Gesellschaften. Je mehr man verdient, desto stärker.
Die andere Steuerabsetzbarkeit ist jene für freiwillige Spenden an spendenbegünstigte Organisation, nicht aber für die Mitgliedsbeiträge in ihnen. Die Voraussetzungen für diese Gemeinnützigkeit oder Wohltätigkeit sind relativ streng, der Verein muss extern kontrolliert werden, die Verwendung der Mittel für den Vereinszweck, der eben gemeinnützig oder wohltätig sein muss, belegen und so weiter. Solche Auflagen haben anerkannte Religionsgesellschaften (“Körperschaften öffentlichen Rechts”) in Österreich nicht.
Für die Unterstützung der Zivilgesellschaft und ihrer Initiativen auch im sozialen und kulturellen Bereich ist diese Steuerabsetzbarkeit hilfreich, dies erkennt der Staat mit der Unterstützung im Steuerrecht an. Letztendlich werden damit soziale Ziele des Staates mit unterstützt.
Viel für sich, wenig für andere
Dies gilt jedoch nicht für die Religionsgesellschaften. Wenn sie ihre Finanzen in groben Zügen offenlegen, dokumentieren sie damit unter anderem, wie wenig von ihrer Tätigkeit der Gesellschaft zugutekommt. Ihre nebulösen Kategorien wie “Bildung, Kunst und Kultur” decken ihre Eigeninteressen mindestens genauso stark ab wie eventuelle Leistungen für die Gesellschaft. Ihre Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser sind im laufenden Betrieb öffentlich finanziert und können sogar profitabel sein. Die in diesem Zusammenhang oft genannte genannte Caritas vermischt in ihrem Finanzbericht öffentliche und kirchliche Unterstützung und verschleiert damit die großteils öffentliche Herkunft von weniger als einem Viertel ihrer Mittel. Die anderen drei Viertel sind ja Leistungsentgelte, die auch Private sowie die öffentliche Hand zahlen. Die Mutterkirche steuert laut eigenem Rechenschaftsbericht höchstens 2,5 % ihres Jahresbudgets bei.
Daraus folgt, dass eine öffentliche Subventionierung der Kirche wesentlich weniger effizient für die Gesellschaft ist als die Verwendung der gleichen Mittel direkt für soziale Zwecke – zumindest wenn man mehr als 2,5 % davon tatsächlich für den eigentlichen Zweck aufwenden will.
Angriff auf die Kirchen?
Leider haben in Österreich viele Politiker:innen einen Verteidigungsreflex, wenn sie in sinnvollen politischen Vorschlägen “Angriffe auf Kirchen” orten. Ob die geäußerte Argumentation “gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Miteinander” oder die wohltätigen Strukturen nennt: Die Aussagen sind meistens unbelegt und in einer peinlichen Weise falsch.
Änderungen an der Steuerabsetzbarkeit der Kirchenbeiträge haben keine direkten Effekte auf die Kirchen, sondern nur auf die Mitglieder von vier anerkannten Religionsgesellschaften. Die anderen zwölf Religionsgesellschaften, darunter die zweitgrößte (islamische) und die großen christlich-orthodoxen, sind nicht betroffen, im Gegenteil: Ihre Benachteiligung würde dadurch verringert werden. Der Staat subventioniert also die Mitglieder eines kleinen Anteils der Religionsgesellschaften, und zwar jene Menschen mit höheren Einkommen am stärksten. Es wäre interessant, gute Argumente für dieses System zu hören, wir kennen nämlich keine.
Natürlich könnte in einzelnen Fällen der Entfall der Steuerabsetzbarkeit dazu führen, dass jemand beschließt, das Ganze sei das Geld nicht mehr wert. Ob sie neben dem ca. einen Prozent der Bevölkerung, das derzeit jedes Jahr aus Religionsgesellschaften austritt, auffielen, ist eine andere Frage. Aber ein Angriff auf die Kirchen ist das nicht. Wenn Religionsgemeinschaften gute Arbeit leisten und den Mitgliedern sinnvolle Gründe zum Verbleib bieten, werden diese ja nicht austreten.
Besonders befremdlich ist, wenn solche Angriffe auf säkulare Ideen für mehr finanzielle Gerechtigkeit und gleichzeitig mehr Mittel des Staates für soziale Zwecke vom SPÖ-Bürgermeister der Stadt Wien, die mehrheitlich konfessionsfrei ist, kommen. Herr Ludwig scheint zu vergessen, dass die Sozialdemokratie historisch aus guten Gründen gegen die Übermacht von Religion und Kirchen gekämpft hat, dass sie all die Errungenschaften des “Roten Wien” mit Hilfe der eigenen, säkularen Verteilung sozialer Mittel geschaffen hat. Auf Vorschläge, die früher der ÖVP und jetzt auch der FPÖ zumindest überlegenswert erschienen, mit diesem uninformierten und falschen Reflex zu antworten ist weder sozial noch demokratisch. In der von ihm regierten Stadt subventionieren fast zwei Drittel der Bürger:innen (Konfessionsfreie + Religionen ohne Steuerabsetzung) die Kirchenmitgliedschaft von einem Drittel mit – aber daran zu rütteln, sei ein Angriff auf die Kirchen? Eine nicht ernsthaft vertretbare Position, die hoffentlich sowohl aus der eigenen Partei als auch vom Koalitionspartner kritisiert und aufgeklärt wird.