Kopftuchverbot – Verschleierung des Problems

Veröffentlicht: 08. Sep 2025

Der Staat schützt und fördert eine Religion, deren Normen er an anderer Stelle durch Verbote bekämpfen muss.

Das christliche Kreuz ist ein klassisches religiöses Symbol: Es repräsentiert eine theologische Erzählung und steht für ein individuelles Bekenntnis. Es kann auch einfach an die Wand genagelt werden, um als Dominanzzeichen in einer begrenzten Umwelt – etwa in einem Klassenzimmer – religiöses Terrain abzustecken. 
Das Kopftuch ist in diesem Sinn und Gegensatz dazu kein Symbol, das unabhängig von seiner Trägerin Anwendung findet. Es ist eigentlich gar kein Symbol, sondern ein Werkzeug, ein Instrument religiöser Normdurchsetzung, das auch symbolisch wirkt. Sein primärer Zweck liegt nicht in der Repräsentation, sondern in der Befolgung einer Vorschrift. Damit markiert es weniger ein freiwilliges Glaubensbekenntnis, sondern in erster Linie Unterordnung und Zugehörigkeit – erst recht bei Kindern.

Naturgemäß kann ein Kopftuch von einer religionsmündigen Frau – also ab 14 – auch selbstbestimmt getragen werden. Das macht die Einordnung einer von außen schwer erkennbaren Motivlage prima vista zwar schwierig, aber gleichzeitig ist das unerheblich, wenn es darum geht, jene zu schützen, die tatsächlich zum Tragen einer Verschleierung genötigt werden. Genau hier setzt die politische Diskussion an – beim Schutz vor Zwang, nicht bei der Beurteilung individueller Beweggründe. Ein mögliches Kopftuchverbot soll nicht Religionsmündige einschränken, sondern Nicht-Religionsmündigen die Freiheit geben, später selbst zu entscheiden.

Struktureller Widerspruch

Ein Kopftuchverbot in der Schule für alle bis 13 alleine greift zu kurz. Es bekämpft das sichtbare Symptom einer rückwärtsgewandten Ideologie, nicht die Ursache, die in der Religion selbst zu finden ist – konkret im Islam, dessen kulturelle Normen das Kopftuch zur Pflicht machen. Dieses Problem, dieser Ausdruck der Hierarchisierung der Geschlechter eines Weltbilds, das mit einer offenen Gesellschaft gleichberechtigter Individuen nicht vereinbar ist, wird durch ein Kleidungsverbot nicht gelöst werden. 

Diese Unzulänglichkeit wurde vom Gesetzgeber völlig ohne Not selbst verursacht. Der Islam ist mit dem 2015 runderneuerten Gesetz aus 1912 als Körperschaft öffentlichen Rechts privilegiert und damit eine der gesetzlich anerkannten Staatsreligionen. Auf diesem Weg bekennt sich die Republik nicht nur zur Duldung, sondern zu einer Kooperation mit einem Wertesystem, das nicht nur mit unseren demokratischen Grundwerten inkompatibel ist, sondern auch kaum jemals kompatibel gemacht werden kann. Die Grundlagen der Religion folgen nicht die Prinzipien von Evidenz, Empirie und Logik. Der Islam wird sich nicht an österreichische Gesetze und säkulare europäische Grundwerte anpassen.
Das betrifft freilich nicht nur den Islam, sondern ausnahmslos alle der derzeit 16 gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften mit ihren rechtlichen Sonderstellungen – von teuren Subventionen bis zu Mitspracherechten im Schulwesen.

Religionspolitische Inkonsequenz

Solange der Islam in Österreich als privilegierte Körperschaft organisiert ist, wird ein Partikularproblem durch ein Kleidungsverbot nicht gelöst, sondern nur in die private Sphäre verschoben. Hinzu kommen praktische und rechtliche Widersprüche: Warum soll das Kopftuch untersagt sein, während andere religiöse Kleidungsstücke erlaubt bleiben? Müsste dann nicht auch die jüdische Kippa oder der sikhische Turban verboten werden? Und sämtliche andere Formen der religiösen Unterweisung im schulischen Kontext, wie etwa die Religionsunterrichte aller Konfessionen, die sich staatlicher Kontrolle entziehen, aber basale Bildungsstandards wie die Wahrhaftigkeit der Inhalte einfach nicht einhalten?

In dieser Hinsicht sind alle Religionen auf einer grundlegenden Ebene gleich problematisch und auch gleich zu behandeln. Das bedeutet aber nicht, dass es innerhalb der religiösen Weltanschauungen nicht gravierende Unterschiede gibt. Gerade der Islam bringt spezifische gesellschaftliche Probleme mit sich, die andere Religionsgemeinschaften in dieser Form nicht erzeugen. Wenn er gleichzeitig strukturell privilegiert wird, entsteht ein Widerspruch: Der Staat schützt und fördert eine Religion, deren Normen er an anderer Stelle durch Verbote bekämpfen muss.

Solche Inkonsistenzen schwächen die Glaubwürdigkeit des Verbots. Sie machen deutlich, dass es nicht um eine konsequente Regelung geht, sondern um symbolische Politik – um ein sichtbares Zeichen, nicht um eine strukturelle Lösung.

Kleiner Einschub zur Leitkultur: Diejenigen, die eine österreichische “Leitkultur” bemühen, ohne in der Regel zu wissen, welches Konzept Bassam Tibi damit eigentlich verfolgte, müssen sich auch gewahr sein, dass nur eine konsequente Trennung von Republik und Religion, also Laizität, die Grundlage für einen gemeinsam geteilten säkularen Wertekern sein kann. Eine universelle Leitkultur kann weder christlich, noch christlich-jüdisch, noch multi-religiös geprägt sein, sondern nur humanistisch.
Aber universelle Werte sind ja auch nicht das Ziel der VP-geführten Wertedebatte, die einfach den Katholizismus als Leitkultur voraussetzt. Dementsprechend haftet dem Kopftuchverbot durch eine christlich-polarisierte Brille ein antimuslimisches Leuchten an. 

Ziele und Etappen

Das Kopftuch ist kein harmloses Accessoire. Es ist Ausdruck einer religiösen Norm, die viele Mädchen und Frauen in ihrer individuellen Selbstbestimmung einschränkt. In diesen Fällen steht es für sozialen Druck, für Unterordnung und für eine religiöse Markierung, die Frauen nicht freiwillig wählen, sondern erdulden. Unter diesem Aspekt ist ein kritischer Umgang mit dem Kopftuch nicht nur legitim, sondern notwendig.

Ein Verbot kann daher im Einzelfall sinnvoll erscheinen und im besten Fall sogar Kollateralnutzen stiften. In Frankreich hat das Kopftuchverbot in Schulen zu einer Verbesserung der Leistung der Schülerinnen beigetragen.

Doch solange der Islam als Religion in Österreich auf einer privilegierten gesetzlichen Grundlage abgesichert ist, bleibt ein Kopftuchverbot inkonsequent. Wer wirklich etwas verändern will, muss an den Wurzeln ansetzen: nicht an oberflächlichem Stoff, sondern am Sonderstatus einer Religion, die solche Normen hervorbringt. Nur so lässt sich verhindern, dass Symbolpolitik die strukturellen Probleme überdeckt.

Ein Kopftuchverbot ohne Berücksichtigung ähnlicher Symbolik ist als Etappe zu einer offeneren Gesellschaft ohne privilegierte Ideologien langfristig kontraproduktiv. Eine Schule frei von religiösen Symbolen ließe sich zwischenzeitlich trotzdem sehr einfach realisieren – geregelt über eine allgemeine Kleiderordnung, die – wie auch das Handyverbot – für alle gilt. Und selbstverständlich ohne Kreuz im Klassenzimmer.

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