Diese aufwändige Aktion „Was glaubt Österreich?“ des ORF geht zu Ende. Ich bezweifle nicht den Wert der Aktion für den ORF, denn die Beiträge sind gut gestaltet und interessant. Aber es handelt sich hier nach Aussage des ORF auch um eine repräsentative Studie gemeinsam mit der Universität Wien. Da wurde eine enorme Chance vertan.
Immerhin war der Anspruch: „… unterschiedlichste religiöse und nicht-religiöse Lebens- und Glaubenswelten … sichtbar zu machen und einander besser kennen … zu lernen.“ Während die Glaubenswelten von Gläubigen hell beleuchtet wurden, blieben die Nicht-Gläubigen im Dunkeln. In einem kurzen Artikel über Atheisten kam nichts Wesentliches zur Sprache, was die eigentliche Interessenslage und die Erklärungen der Konfessionsfreien anlangt. Daher versuche ich hier ungefragterweise einiges nachzuliefern, was zu einem vollständigen Bild der Situation gehört, immerhin machen die Nicht-Gläubigen mehr als die Hälfte des Publikums aus und – entgegen der landläufigen Meinung – haben sie sehr wohl etwas dazu zu sagen und Interessen zu verteidigen.
Wenn man von Forschung spricht, so erwartet man, dass man auf den seriösen Forschungsergebnissen aufbaut, die es schon gibt oder man kritisiert diese. So wird z.B. seit über 30 Jahren die „Religiosity Study“ des renommierten Gallup international Instituts durchgeführt, die über die Jahre sehr konsistente Ergebnisse liefert. Sie ist, anders als die vorliegende Studie, keine Momentaufnahme, sondern zeigt die Entwicklung der Religiosität und das weltweit. Danach gehört Österreich schon lange zu den top 13 areligiösen Staaten der Welt, während der ORF hier den gegenteiligen Eindruck vermittelt. Eine sehr genaue Studie über die Glaubensinhalte der österreichischen Katholiken nach ihrem Credo findet sich auch im Internet unter https://fowid.de/meldung/oesterreich-mehrheit-glaubt-staerker-karma-gott. Bisher habe ich keinen Bezug auf diese Studien gesehen.
Man unterscheidet in der Gallup-Studie zwischen „areligiös“ und „atheistisch“. In Österreich sind 53% (!) areligiös, rund 20% davon bezeichnen sich selbst als „Atheisten“ (also 10%-Punkte). Die Religiösen nehmen seit Jahrzehnten in geradezu naturgesetzlicher Weise beständig ab (IST: 42% ).
Zur Erklärung dieses Phänomens gab es bisher kaum Beiträge von Nicht-Gläubigen und wenn, waren es keine Vertreter einer Nicht-Gläubigen Organisation, die sich mit dem Thema befasst haben. Dabei ist das nach meiner Meinung die Kernfrage, wenn es um gesellschaftliche Entwicklungen geht: Gibt es dafür eine vernünftige, gesellschaftlich relevante Erklärung, warum Menschen ausgetreten sind oder hat man Angst, dass diese Aussagen zu kritisch ausfallen würden? Welche Konsequenzen zieht die Gesellschaft daraus, wenn nach Jahrhunderten der Anteil der Katholiken in Österreich – wie letztes Jahr – unter die 50-%-Marke fällt? Welche die Kirche? Darauf gibt die Aktion keine Antwort.
Eine Erklärung wäre z.B. das Aufkommen der Missbrauchsfälle, die tatsächlich einen momentanen Anstieg bei den Austritten gebracht haben. Das erklärt aber nicht den jahrzehntelangen beständigen Mitgliederschwund. Im ORF sind über die Jahre immer nur die Vertreter der Kirche dazu gefragt worden.
Ergebnisse lieferte eine Market-Umfrage aus 2018 im Auftrag des „Standard“. Demnach bezeichneten sich 62% im Jahr 2018 als „Nicht-religiösen Menschen“ (2017 waren es noch 60%), wobei die Altersdifferenzierung und das Stadt Land-Gefälle besonders stark auffallen. In der zukunftsrelevanten Gruppe der 16-29 jährigen ist die Summe der Nicht-Religiösen um fast 20% Punkte höher als in der 50+ Gruppe. Im urbanen Raum (Wien) sind über 75% Nicht-Religiöse zu finden. Daher ist die Aussage in der ORF-Studie, dass bei jungen Leuten (14-25) die „höchste Zustimmungsrate bei Fragestellungen“ zu verzeichnen war, sehr überraschend und Hinterfragens wert.
Auch innerhalb der religiösen Community sind die Vorstellungen nicht konsistent mit dem, was man religiösen Glauben nennt. Denn ein integraler Bestandteil christlicher Theologie ist wohl der Glaube an ein Jenseits samt „Himmel“ und „Hölle“. Nach der Standard Umfrage aus 2012 glauben nur 2% an eine Hölle und interessanterweise 10%, dass es einen Teufel gibt. Nach dieser Umfrage glauben auch nur 16% an das Herz des katholischen Glaubens, nämlich an die Auferstehung. Dass die Welt von Gott erschaffen wurde, glauben nur mehr 19% und auch das ist angesichts dessen, dass die Evolution eine wissenschaftliche Tatsache ist, ein erschreckend hoher Prozentsatz, der die Wissenschaftsfeindlichkeit in Österreich belegt. All das gäbe Anlass, über Konsequenzen nachzudenken.
In der oben erwähnten Studie von fowid erreichen die Glaubenssätze des katholischen Glaubensbekenntnisses nur eine Zustimmung von 50-8%(!) unter den Österreichern. Der harte Kern der Gläubigen, das sind 8%, glaubt nach wie vor an die Heiligkeit der Kirche.
13% haben ein offensichtlich totalitäres Bild von Religion, indem sie der Aussage zustimmen, dass „manche Religionen anderen überlegen sind“. Es liegt auf der Hand, dass solche Vorstellungen das Eingangstor für gefährliche politische Einstellungen sind.
Bedenklich ist auch die Einstellung der Österreicher:innen, dass sie trotz ihrer bescheidenen Religiosität dafür sind, dass christliche Inhalte in Schulen und Kindergärten für die meisten nicht wegzudenken sind. Drei von vier Befragten (76 Prozent) ist es laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts IMAS wichtig, Kindern und Jugendlichen solche Werte zu vermitteln.
Säkulare Humanist:innen würden es lieber sehen, dass man den Kindern zuallererst Werte der Aufklärung und kritisches Denken vermittelt, um sie sattelfest zu machen gegen populistische Verführung. Nach humanistischer Lesart gibt es keine muslimischen oder katholischen oder evangelischen Kinder in der Schule, sondern nur Kinder, die das Recht auf eine eigene Entwicklung haben, um ihre Potenziale bestmöglich auszuschöpfen.
Es scheint für Humanist:innen offensichtlich, dass Religionen eine gewisse Neigung oder Nähe zu totalitären Systemen haben, ein Ergebnis, das auch durch die ORF-Studie bestätigt scheint. Der Bestemm auf das religiöse Erbe vertieft aber die Kluft zwischen den Klassenkamerad:innen, wo Zusammenhalt geboten wäre. Die übertriebene Betonung des Glaubens speziell in der Schule und in der Öffentlichkeit begünstigt den Tribalismus, der Rechts-Populisten das Feld aufbereitet.
Freiheit beginnt mit Genauigkeit. Es wäre an der Zeit, dass die Religionsabteilung des ORF sich unter dem Titel „ORF-für alle“ auch um die Anliegen der 53 % Nicht-Religiösen und der 31 % Konfessionsfreien kümmert.